geändert am 11.04.2007 - Version Nr.: 1. 40
28.02.07 (set: 28.02.2007) ~ <<< 28.03.07 (set: 11.04.2007) ~ >>> ~ Dr. Dieter Porth - Hannover,Göttingen
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Pressemitteilung Kontaktlink zu Stefan Wenzel [ Homepage ] (MdL für Göttingen - Grüne)[Hannover,Göttingen - 05.03.07] [Internet-Zitat: Website]
Antrag: Junge Menschen nicht länger ohne Perspektive lassen - Verantwortung für Berufausbildung übernehmen
1. März 2007
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Hannover, den 27.02.2007
Der Landtag wolle beschließen:
Entschließung
Der Landtag stellt fest:
1. Die berufliche Bildung befindet sich seit Jahren in einer Krise. Zwischen 1990 und 2005 sind in Niedersachsen ca. 41.000 Ausbildungsplätze verloren gegangen. Gleichzeitig wächst die Nachfrage aufgrund einer steigenden Zahl von Schulabgängern.
2. Die dramatisch sinkende Zahl der Ausbildungsverträge, selbst in den Metall- und Elektroberufen, in denen sich gleichzeitig die Zahl der offenen Stellen in den letzten Jahren fast verdoppelt hat, dokumentiert ein nachlassendes Interesse der Unternehmen, ihren Fachkräftebedarf durch eigene Ausbildungsanstrengungen zu decken.
3. Von allen Schulabgängern, die 2004 in die Berufsausbildung einsteigen wollten, fanden in Niedersachsen nur 37,5% einen Ausbildungsplatz im dualen System. Damit ist Niedersachsen bundesweit Schlusslicht. Der Versuch, die Situation auf dem niedersächsischen Lehrstellenmarkt mit dem Ausbildungspakt entscheidend zu verbessern, ist gescheitert.
4. 46,2% der neu in das System der beruflichen Bildung hineinwachsenden niedersächsischen Jugendlichen müssen sich mit einem Platz in Übergangssystemen oder so genannten Warteschleifen begnügen. Die Perspektivlosigkeit in den Warteschleifen zerstört Leistungsbereitschaft und Motivation und vermindert schlimmstenfalls sogar die Chancen auf einen Ausbildungsplatz.
Der Landtag fordert die Landesregierung auf Konzepte vorzulegen, wie
* die Übergangssysteme so umgebaut und weiterentwickelt werden können, dass sie zu auf die Berufsausbildung anrechenbaren und von den Kammern und Betrieben anerkannten Teilqualifikationen führen,
* Jugendlichen mit theoretischen oder praktischen Kenntnissen aus der Teilnahme an Praktika oder Lehrgängen die Kenntnisse auf die Dauer einer Ausbildung angerechnet werden können, um Motivation zu schaffen, die Warteschleifen systematischer mit ausbildungsnahen Theorie- oder Praxismodulen zu nutzen,
* die Berufsausbildung in Vollzeitschulform mit hohen Praktikumsanteilen sowohl in staatlicher, als auch in privater Trägerschaft kurzfristig ausgebaut werden kann, um insbesondere in Berufsfeldern mit akutem oder absehbarem Fachkräftemangel vermehrt Ausbildungsplätze mit von den Kammern anerkannten Abschlüssen zu schaffen, ohne zugleich die ausbildende Wirtschaft aus der Verantwortung zu entlassen,
* den Betrieben durch eine stärkere Modularisierung der beruflichen Bildung Hilfestellungen bei der Ausbildung gegeben werden können und wie regionale Netzwerke zwischen den Betrieben, Kammern und vollzeitschulischen Formen beruflicher Bildung zum Abbau von Ausbildungshemmnissen in den Betrieben beitragen können,
* Jugendlichen mit besonderen Handicaps in Produktionsschulen eine zweite Chance durch Bezug zur realen Arbeitswelt eröffnet werden kann.
Der Landtag fordert die Landesregierung ferner auf:
* mögliche Mehrkosten einer verstärkt vollzeitschulischen und modularisierten Berufsbildung für das Land und die Schulträger zu ermitteln und Möglichkeiten der Finanzierung aus Drittmitteln (z.B. der Bundesagentur für Arbeit oder der Europäischen Union) darzustellen.
Begründung:
Nur noch 22,6% der Betriebe in Deutschland bilden aus. Insbesondere bei Betrieben mit bis zu 9 Beschäftigten hat sich die Ausbildungsbetriebsquote von ca. 28% der Betriebe im Jahre 1985 auf knapp 17% im Jahre 2003 fast halbiert. Auch der Anteil der Auszubildenden an den sozialversicherungspflichtig Beschäftigten hat sich binnen der vergangenen ca. 20 Jahre von 8,8% auf 5,3% deutlich verringert.
Vor allem Schulabgänger ohne Schulabschluss haben kaum noch die Chance, einen Ausbildungsplatz im dualen System zu finden; mehr als 85% landen in den Übergangssystemen. Auch für Schulabgänger mit Hauptschulabschluss führt der Weg in Niedersachsen nach der allgemeinbildenden Schule zu etwa 2/3 geradewegs in die Warteschleife. Kaum 40% von ihnen finden selbst nach Durchlaufen mehrerer Warteschleifen eine reguläre Berufsausbildung oder Beschäftigung. Bundesweit verlieren etwa eine halbe Million Jugendliche in teuren, kaum evaluierten und wenig aufeinander abgestimmten Maßnahmen mit geringer beruflicher Perspektive das Vertrauen in ihre Zukunft und den demokratischen Staat.
Auch angesichts der demografischen Entwicklung können wir es uns nicht länger leisten, eine wachsende Zahl junger Menschen nicht optimal auszubilden. Die künftige Wettbewerbsfähigkeit unseres Landes hängt entscheidend davon ab, ob wir unsere einzige Ressource - eine gut ausgebildete Bevölkerung - im internationalen Innovationswettbewerb optimal nutzen.
Immer neue Appelle an die Wirtschaft, endlich mehr Ausbildungsplätze bereit zu stellen, der gerade erst verlängerte Ausbildungspakt der Landesregierung mit der niedersächsischen Wirtschaft und millionenschwere Fördermaßnahmen der Berufsausbildung im dualen System konnten die dramatischen Situation der beruflichen Bildung nicht entscheidend verbessern und haben sich deshalb als nicht zielführend erwiesen.
Wir können daher nicht länger auf weitgehend wirkungslosen Instrumenten verharren und damit zusehen, wie große Teile unserer jungen Generation ohne die Chance auf gesellschaftliche Teilhabe bleiben.
Das System betrieblicher und schulischer Ausbildung verstärkt um Angebote vollzeitschulischer Berufsausbildung zu ergänzen, bedeutet keineswegs vom bewährten System der dualen Berufsbildung abzurücken. Da es im wachsenden Dienstleistungssektor eine gegenüber Handwerk und Industrie weitaus geringer ausgeprägte Tradition dualer Berufsausbildung gibt, wird mit der Ausweitung des seit Jahren relativ stabilen Anteils vollzeitschulischer Berufsausbildung lediglich der Wandel unserer Wirtschaftsstruktur nachvollzogen.
Es ist nicht sinnvoll, jährlich bundesweit rund 4 Milliarden Euro in weitgehend ineffiziente Warteschleifen zu stecken, die die Chancen der Jugendlichen auf dem Ausbildungs- und Arbeitsmarkt bestenfalls nicht verschlechtern. Ein Umbau dieser Systeme hin zu berufsqualifizierenden, aufeinander aufbauenden Modulen, mit auch in den jeweiligen Zwischenschritten anerkannten Abschlüssen, kann den Betrieben zusätzliche Optionen bieten, sich an der Ausbildung zu beteiligen. Darüber hinaus sind modulare Systeme besser geeignet, angesichts des immer schnelleren technischen Wandels, flexibel auf die Anforderungen des Arbeitsmarktes zu reagieren.
So lange unser allgemeinbildendes Schulsystem selektiv statt integrativ wirkt, wird eine erhebliche Zahl junger Menschen mit Handicaps aus den Schulen entlassen werden, die eine besondere Förderung erforderlich machen. Ein erfolgreiches dänisches Beispiel, das sich mittlerweile auch in Deutschland erfolgreich zu etablieren beginnt, sind die so genannten Produktionsschulen. In den Produktionsschulen werden Arbeiten und Lernen zusammengeführt und Qualifikation in arbeitsmarktnahen Produktionsbereichen vermittelt. Damit wird auf Dauer mehr benachteiligten Jugendlichen eine zweite Chance gegeben, als mit immer neuen, kurzfristig angelegten Ausbildungsprogrammen und Nachqualifizierungsprojekten.
Fraktionsvorsitzender
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