geändert am 21.12.2006 - Version Nr.: 1. 18

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Kunst-Kultur

~ Dr. Dieter Porth - Internet

"Was ist eine gute Kunstkritik?" - Ein Streitdialog zwischen Daniel Constatino und Dr. Dieter Porth. In seiner Antwort beschäftigt sich Daniel Costantino mit der Schwerarbeit der Sprachbewältigung und mit dem Thema Sprachkritik.

Zusammenfassung

Täglich erscheinen in verschiedenen Zeitschriften, Journalen oder Fachzeitschriften. Aus Anlass einer Kritik und auf Anregung von Daniel Costantino entstand die Idee zu diesem Schriftdialog über die Frage, was eine gute Kritik ist.
Für mich ist dieser Dialog eine Reflexion über meine gewählte Form der Musikkritiken. Meine Hoffnung ist, dass der geneigte Leser vielleicht viel schneller erkennt, welche Grenzen eine Kritik hat und welche Zielrichtungen Kritiker mit ihren Kritiken verfolgen.
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Pressemitteilung Kontaktlink zu Daniel Costantino [ Homepage ]

[Internet - 17.12.06] [Bericht]

"Was ist eine gute Kunstkritik?" - Ein Streitdialog zwischen Daniel Constatino und Dr. Dieter Porth

ja, messwerkzeug eigne person - es gibt in meinem kopf bestimmte kriterien, was eine gute sprache sei. durch vieles üben, nachahmen, korrigieren, nachdenken und weiterentwickeln habe ich selbst zu einer sprache gefunden, mit der ich einen text, wie ich glaube, recht anschaulich, flüssig und interessant gestalten kann und die es mir erlaubt, andern beim schreiben mit einer gewissen kompetenz auf die pfoten zu schauen. ich bin also selber schreiberling und kenne die bedingungen des geschäfts. abschottung von störenden einflüssen, verflachung der sprache, beliebigkeit, konjunktur der modewörter, parolen, inflation, mainstream der medien - es braucht ruhe und konzentration, einen stil zu entwickeln. das berühmte leere, weisse blatt papier. das beste aus sich herausholen. ob in einer buchkritik oder einer eignen kurzgeschichte. ob artikel oder roman, meinung oder kunst, gedicht oder pamflet. undsoweiter. ich will bei allem meine eigne autorität sein oder werden. klar gibt es einflüsse, schlechte und gute, beste. ein sprachkünstler muss die sprache wie ein instrument führen. aber er kann es nicht an einer hochschule für musik erlernen, wo ihm etwa die intonation des belcanto samt stimmtraining und -hygiene und die richtige interpretation mozartscher arien oder schubertscher lieder beigebracht werden. er ist selbst der komponist, komponist und interpret. er wird gut beraten sein, an der ausdruckskraft seiner verben zu feilen, seine sprache von allerlei mist zu entschlacken, zu verschlanken und ökonomisch zur sache zu gehen, das heisst sich von kompliziertheiten zu emanzipieren und nur halbgedachten gedanken, für die er zehn seiten braucht, ohne zu klarheit zu kommen, indes ein andrer sie auf einer halben seite auf den punkt bringt. solches - und vieles andere mehr! - könnte ich selbstfinder natürlich als sachliche kriterien ausgeben, und ich möchte den erleben, der mir fundiert widerspräche. aber es sind weit mehr als sachliche kriterien nur: es sind die voraussetzungen, die sprache zu einem kunstwerkzeug zu erheben.
meine person steht als messwerkzeug im vordergrund. zu meiner person gehören die genannten dinge. ich bin ein praktiker der sprache. das konzept sprachkunst steckt in meinem kopf wie etwa deutsch, das ich beherrsche, aber viele seiner grammatischen regeln nicht zu sagen wüsste, da sie seit kindheitstagen verinnerlicht sind.
einem schriftsteller der gegenwart, über den ich schreibe, schaue ich beim schreiben, beim denken, beim mogeln und kaschieren zu. ich kenne meine pappenheimer, weil ich selbst einer bin. und ich bin der bewunderung ebenso fähig. ich applaudiere auch. aber nicht sowieso.
ich kann mit deinem vergleich zwischen geistes- und naturwissenschaften nicht schritthalten. ich habe nur gesang studiert und sonst garnichts. ich denke bei deinem wort verortung daran, dass ich verorte, ob ein schriftsteller ein künstler sei, ob es kunst sein könne, so zu schreiben, wie er schreibt. und wenn nicht kunst, ob er sein handwerk redlich betreibe. nicht nur, natürlich: ich kritisiere schon mal auch einen text ratzingers, da geht es um den begriff wahrheit und wahn. um schaumschlägerei und hohle moral. um lüge und sektenpropaganda undsofort. aber weit weg ist das keineswegs. die genannten begriffe spielen überhaupt in meiner art der sprachkritik eine rolle. vielleicht eine art aufklärung...(ich verorte mich in meinen gesellschaftskritischen elaboraten klar: als kritiker der machtausübung.)
es kann nicht eigentlich um die meinung an sich gehen, die ein schriftsteller vertritt. das ist sekundär. es geht mir in der analyse, ob es sich um kunst handle oder nicht, um die art und weise, wie einer schreibt. die weltanschauung ist kein kriterium hiefür. damit wir uns recht verstehen.
ob ich nun meine meinung bekunde, was kunst denn sei, sprachkunst? ich kanns dir nicht widerlegen. aber meinung ist ein so beliebiges wort! ich glaube nicht, dass ich die oberflächlichkeit anstrebe. meinung kann sehr billig sein, sehr wohlfeil, häufig nichts als blosses nachgeplapper. (das war ein einwand der sprachkritik. ich komme aufs wort noch zu sprechen).
vielleicht hast du ebendies hier angetönt:

Für manchen macht die Nichtexistenz einer absoluten Wahrheit eine systematische Darstellung überflüssig und wertlos wird.

ich verstehe die stelle nicht ganz, vielleicht ist da was im eifer des gefechtes weggefallen. (als lehrer würd ich sagen: der satz ist unvollständig geblieben. als kritiker vielleicht: schlechtes lektorat!)
  Kommentarpiktogramm  
dein abschnitt über systematik und wirklichkeit und meta-lernen ist mir zu teoretisch, kann ihn nicht wirklich verstehen. glaube nicht, dass ich solches betreibe in deinem sinne. du vermisst den aspekt des metalernens bei mir wohl zurecht. zwei dinge aber fallen mir hier auf: es gehe dir ähnlich bei dingen, wo du dich nicht auskennst. (mehrere tage, bis die sache durchdrungen).
das läuft bei mir einfach so. ich kann auf kommando schreiben, dies hatte ich unter beweis gestellt, als ich in den 80-iger und 90-iger jahren für ein lokalradio arbeitete und man ein paarmal einen beitrag innert zweier stunden erbat. aber dann ist das tema vorgegeben und der druck riesig. da habe ich keine zeit mehr, hinundher zu überlegen. dann ist schreiben wie reden, improvisieren. aber wenn ich mir selbst was auferlege, und dies ist seit einigen jahren ausschliesslich so, dann vergeht eben zeit, bis ich die innere überzeugung gewonnen habe, meinen punkt gefunden habe, von wo aus ich schreiben und argumentieren will. dann wimmelts in meinem kopf von einwänden und befürchtungen.
ob die sytematik die wirklichkeit angemessen beschreibt, sagst du. das ist es eben: die wirklichkeit! welche soll ich aussuchen? und eigentlich ist alles wirklich, ununterscheidbar wirklich, chaotisch, irisierend, vision, erscheinen uns träume und bilder, stehn wir verflochten in beziehungen und situationen, streift uns die monotonie, das alleinsein, der überdruss, feiern wir feste und tage, kennen wir wonne und ängste, hoffnung und zweifel, lügen und spekulationen und dämmerhafte erkenntnis, irrtum und schuld kommt hinzu, ärger und freude, gefühle und konflikte und probleme.
was ist die wirklichkeit eines romans? das leben selbst. wohlan, das leben will ich schaffen!
will sagen: wie bemisst du die wirklichkeit einer fiktion? und was andres wäre ein roman, sag mir? fantasie, fantasie! schreibend hergestellt.
wir haben es in der literatur mit künstlich und im besten falle künstlerisch erzeugtem leben zu tun.
'wirklichkeit' in einem roman - spürbares, echtes lebensgefühl!

die 'guten kunstwerke', wie du schreibst, müssen überhaupt nichts mit 'realen erfahrungen des einzelnen' zu tun haben. sie können natürlich. aber sie müssen erlebbar sein. ich kann also, lesend, etwas erleben, was ich gar nicht erlebt habe bisher. und auch der autor muss nichts von sich aus 'reales' beschreiben. er erfindet ja. schreiben ist ein erfindungsprozess. und lesen auch.

um eine 'zielgruppe' muss es nicht gehen. das ist kein kriterium der kunst. höchstens die situation des schreibers, der sich irgendwas vorstellt, einen bestimmten leser vielleicht, schemenhaft sicher oft und verschwommen. herrn meyer, seinen nachbarn. oder die menschheit an sich. was immer das sei. (oder eben andere kritiker, da hast du recht).
um zwischendurch einen gedanken loszuwerden: system, systematik. ein gesangsschüler lernt mit viel systematik. umfang, farbe, stütze. legato, piano, forte. ansatzrohr, brust, bauch. mittellage, spitzentöne, die tiefen. geschmeidigkeit, glanz und gloria. er denkt an hundert sachen beim üben. er kontrolliert, wiederholt, verbessert. er unterhält innere warnblinkanlagen. er ist sein dompteur. sein richter und henker. mit den jahren beginnt er, sich freier zu fühlen. er hat die fehleinstellungen korrigiert, die stimmlippen, der kehlkopf, die atmung funktioniert traumwandlerisch vollkommen und richtig, er hat seine klangräume gefunden, sein legato auf sicher, den umfang im schlaf - singen ist zu seiner zweiten natur geworden. er kann wieder unbeschwert singen wie jeder. nur eben schöner jetzt und mächtiger.
so geht es dem künstler, der sein handwerk beherrscht. frage ihn nach der systematik! er hat die tabelle gelesen, nach und nach aufgefressen und verdaut. er weiss nicht mehr, was alles draufgestanden hat.
und so geht es mir, am beispiel der literaturkritik. ich verlasse mich auf vieles, was ich einmal durchdacht oder tief empfunden und nun als aufzählbares traktandum vergessen habe. mit der systematik vermag ich dir nicht paroli zu bieten. ich versuche sogar, wo sie sich ansatzweise bemerkbar macht, sie zu verscheuchen! zuviel teorie, schreiben ist praxis. (und meine kritiken plaudern aus der schule.)

ich glaube nicht, dass es wichtigkeitsunterschiede zwischen meinen entscheidenden kriterien noch gäbe. aber ich habe deinen begriff vom strukturieren jetzt begriffen. mal mangelt es dem martin walser an wortschatz, bald an ausdruckskraft. dem dürrenmatt an akzeptablem deutsch. dafür konstruiert er die stories tadellos, wie auch walser, aber das ist schon nicht mehr entscheidend. und bei grass vermisse ich überhaupt alles dergleichen. ich beanstande, wo es etwas zu beanstanden gibt. ich bin ungerecht. ich verreisse, wenn einer den entscheidenden künstlerischen kriterien nicht standhält. ich lobe, juble, wenn die sache gländzend geschrieben. mag einer mängel haben irgendwo, wenn er sie nur nicht in seiner sprache hat. es kommt also auf den autor an, welche punkte nun genau ich aufliste. und, wie schon gesagt, vielleicht auch auf andere kritiken. dann untersuche ich die sache auch im hinblick darauf. aber füge stets das eigene auch bei.
also reich-ranicki muss man sehen. dort ist er ein meister seiner selbst. ich habe seine biografie gelesen. gut geschrieben, es ist recht. aber kein herausragendes literarisches niveau. einfach gutes deutsch.

zu guter letzt, deine nachfragen:
wie möchte ich gelesen werden. oder wie bewerte ich unter deinem modell meine kritiken -

a. 1.sachinformationen. über den autor und seine bedeutung. nahe null. über sein leben nichts. oder wenn mich grad der teufel reitet. muss jedenfalls nicht dazugehören. 2. kurze zusammenfassung des werks. bei gedichten nicht, die hat man ja grad selbst vor augen. 3. ich zitiere die inkriminierten stellen. die guten auch.
b. selbstdarstellung. meine eigene schreibe muss ausgezeichnet sein. ich hoffe, dass dies manchmal ein wenig zutrifft.
c. lohnt sich das buch? man erfährt, was ich davon halte. ja, unbedingt, da findet einer meine antwort. in der regel grosses lob oder grosser verriss. reisst ein werk weder im positiven noch im negativen an meinen nerven, schreibe ich nicht darüber.
d. beziehungsaspekt. ich habe bislang nur über autoren geschrieben, die ich nicht persönlich kenne. im unterschied zu meiner früheren radioarbeit, da gab es manchmal interviews oder auch beiträge in richtung gefälligkeit. leser: der typ verarscht euch. damit stehe ich auf der seite des lesers. oder: lest den unbedingt, damit empfehle ich den autor einem leser.

zur sprachkritik. ich bin geneigt, das gegenteil zu denken: das wort bedeutet mehr als die retorik. ich bin ein ausgesprochener wortkritiker. klischee, lüge, propaganda; denkkraft und ausdrucksvermögen; werte und moral und konvention; sprachschöpfung, klarheit und lauterkeit - alles im wort begründet, durchs wort offengelegt. gewiss im zusammenhang mit den andern worten ebenso, aber kaum im grammatischen und wenig im retorischen sinn. von zwei autoren, die mit der reinen aussage dasselbe sagen, ziehe ich den vor, der geschliffener schreiben kann. ich lehne einen aber ab, der mit retorik auftrumpft, aber bei lichte besehn bloss hohle frasen drischt. da lob ich mir den ehrlichen daneben, selbst wenn er ungelenk schreibt. die grösste kunstform ist für mich das gedicht. da kommt alles an den tag, was einer drauf hat oder nicht. nichts entlarvenderes als konventionelle reimerei! vom kitsch noch nicht einmal zu reden.
allerdings erlebe ich sehr selten einen autor, der geschliffen schreibt und doch durch seine worte quark erzählt. die sache erfühlt und durchdacht zu haben, prägt meist auch einen eigenen stil, setzt sich in der retorik fort. bei meinen schon erwähnten dreien zu bleiben, walser, grass und dürrenmatt: stilistisch der beste nach meinem dafürhalten der schweizer. gewiss der aufrichtigste. die begrenztheit seines darstellungsvermögens äussert sich in seiner zwar typischen, aber monotonen art, die sätze ineinanderzuschachteln nach immer demselben schema. das denken, welches dahintersteckt, ist ebenfalls zur schablone erstarrt, aus zweiter, dritter hand entliehen, im guten falle vermittlung wissenschaftlicher 'erkenntnis', im schlechten schieres stammtischgeschwätz. auch walser könnte man noch einen stilisten nennen, so man an das wort keine höheren ansprüche stellt. der stil ist ebenso windig wie das vierteldenken dieses camoufleurs. grass indes, ich bin überzeugt, setzt sich hin und notiert schlichtweg alles, was ihm zufällt, in der regel spiessiges, treppenhausgeklatsche, abklatsch des medienmainstreams. als ob er pro zeile bezahlt würde, in einer riesigen fleissarbeit, häuft er das aneinander und türmt es zu wällen auf. er ist ein intellektualistischer papagei.
am gerissensten schreibt der heilige stuhl. übung vieler jahrhunderte. im unterschiede zu den meisten sektentraktaten liest sich das zeug in ordentlichem deutsch. dort gibt es kaum eine einzelne lüge. alles ist zur verlogenheit gefroren. ein gift ersten ranges. vergleichbar noch den urteilsbegründungen richterlicher instanzen. an diesen beispielen muss sprachkritik weitergreifen und die denkweise selbst attackieren. überhaupt, seis am wort, seis anhand der frasen, formeln und behauptungen, sollte sich sprachkritik bemühen, das denken offenzulegen, die selbstverständlichen annahmen dahinter blosszulegen und zu hinterfragen.
ich halte nichts von objektivität, weil dahinter doch immer wertvorstellungen stecken. nur werden sie kaschiert. damit leistet scheinbare objektivität ihren beitrag zu dem, was nur geglaubt und nachgebetet werden kann. objektivität birgt sehr viel autoritäre macht. (sachlichkeit ist etwas anderes). machtausübung und dummhaltung der schafe durch das wort. deshalb bin ich ein sprachkritiker.
denken ist ein instinkt. wir leben in einer kultur der allgemeinen zähmung von instinkten. der dressur, gerade in sprachlicher, denkerischer, gefühlsmässiger hinsicht. der tod aller kunst.
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