geändert am 20.12.2006 - Version Nr.: 1. 18
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Pressemitteilung Kontaktlink zu Bürgerstimmen im Göttinger-Land [ Homepage ] (Dr. Dieter Porth)[Internet - 15.12.06] [Bericht]
"Was ist eine gute Kunstkritik?" - Ein Streitdialog zwischen Daniel Constatino und Dr. Dieter Porth
--- Zweck einer Kunstkritik ---
Wenn ich das richtig verstanden habe, ist für Dich die Kritik insbesondere auch eine Darlegung des "Selbstfindungsprozesses". Dabei steht die Auseinandersetzung mit dem Kunstwerk im Vordergrund, die Prüfung mit den eigenen Vorstellungen, Gefühlen und Empfindungen. Dabei stellst du als "Messwerkzeug" deine eigene Person in den Vordergrund. Neben der Selbstfindung lese ich aus deinem Text auch das Ziel nach Verortung heraus, wie das folgende Zitat zeigt: " ... ich prüfe also auch, ob ein schriftsteller dem ruf, den er geniesst, auch gerecht wird, ob ein dichter die bezeichnung verdient oder nicht. ...".
Gerade dieser Begriff der Verortung hat mich schon früher an den Geisteswissenschaftlern gestört. Der Begriff hat dabei zwei Bedeutungsebenen. Einmal meint er natürlich, dass man als Kritiker ein Kunstwerk oder einen Text nur aus einer Sicht darstellen kann. Mit der Verortung stellt man fest, welcher Aspekt das ist. Der Begriff Verortung hat aber auch eine soziologische Bedeutung. Mit seiner eigenen Verortung legt man festlegt, welcher Meinung man in der wissenschaftlichen Gemeinschaft gewogen ist und welcher nicht. Verortung ist also gleichzeitig eine Meinungsbekundung und führt zur Parteienbildung innerhalb einer Gemeinschaft. Mit deiner oft geäußerten Kritik am Kulturbetrieb suchst nach meinem Eindruck deinen Platz innerhalb des Kulturbetriebes zu erkämpfen - denn auch eine Kritik an den Kritikern ist ein Kommunizieren mit den Kritikern.
Mit der Verortung zeigst du aber gleichzeitig auch, welchen Zweck deine Kritiken haben. Du suchst einen Platz innerhalb der Gemeinschaft der Kritiker. Für die Bestimmung des Zwecks ist es egal, ob deine Kritik gelesen wird oder nicht. Für die Bestimmung des Zweck ist meiner Ansicht immer nur wichtig, welche Absicht du mit der Arbeit und deren Veröffentlichung verfolgt. (P.S. Auch ich werde für meine veröffentlichten Konzertberichte nicht bezahlt, und bin so ersteinmal nur mir selbst verpflichtet. Aber mir ist es wichtig, zu wissen, warum ich die Texte veröffentliche, denn jede Veröffentlichung hat eine Wirkung - wie diese Auseinandersetzung zeigt.) Ich möchte noch einmal auf den Begriff Verortung zurückkommen. Der Begriff der Verortung hatte und hat für mich einen unangenehmen Beiklang. Er impliziert, das es - auch bei der Literaturkritik - keine absolute Wahrheit geben kann. Dem stimme ich zu; denn selbst in den Naturwissenschaften kann es niemals eine absolute Wahrheit geben. Aber zurück zum Begriff Verortung und dem Bild der multiplen Wahrheiten. Für manchen macht die Nichtexistenz einer absoluten Wahrheit eine systematische Darstellung überflüssig und wertlos wird. Diese Folgerung halte ich für falsch, denn eine Systematik ist ein sehr effizientes Erinnerungssystem, in welchem man seine Erfahrungen und Erkenntnisse gießt und verfügbar hält. Systematik ist eine mächtige Denksprache, die in vielen Lebenslagen hilfreich sein kann.
Du schreibst, dass du dich lange mit einem Problem auseinandersetzt, wobei durchaus mehrere Tage vergehen können, bevor du eine Sache wirklich durchdrungen hast. Dies geht mir bei Dingen, wo ich mich überhaupt nicht auskenne ähnlich. Aber ich bemühe mich schon bald, für diese Dinge eine Systematik zu entwickeln. Anschließend beginne ich zu prüfen, ob die Systematik die Wirklichkeit angemessen beschreibt. Wenn sie es nicht tut, dann muss ich die Systematik ändern. Für mich ist also nicht nur die Auseinandersetzung mit dem Kunstwerk wichtig, sondern auch die Auseinadersetzung mit der Systematik. Diese Systematik ist später hilfreich, wenn ich die nächste Kritik schreibe. Diesen Aspekt des Meta-Lernens vermisse ich bei deinen Ausführungen.
Die Verwendung von systematischen Darstellung hat auch einen Nachteil; man muss häufiger prüfen, ob die gewählte systematische Darstellung überhaupt noch sinnvoll ist. Hier stellt sich die Frage, wie man das macht. Nach langen Nachdenken über Kreativität und gute wissenschaftliche Theorien bin ich irgendwann für naturwissenschaftliche Theorien zu dem Schluss gekommen, dass eine Theorie immer dann gut ist, wenn sie (1)bestimmte Aspekte der Erfahrung (2)mit einem überschaubaren Theoriesystem (3)mit gewünschter Zweckmäßigkeit beherrscht werden können. Wissenschaftliche Theorien sind schlecht, wenn einer der drei Aspekte schwach repräsentiert ist. Beispielsweise ist die Urknalltheorie schlecht, weil die Erfahrungen eher dürftig sind. Beispielsweise sind viele philosophische Überlegungen schlecht, weil ihre theoretische Rahmen oft zu kompliziert ist. Manches Kunstwerk wie auch manche wissenschaftliche Arbeit ist schlecht, wenn man nicht erkennt, welchen Zweck und/oder Ziel das Ganze verfolgt. Da die Naturwissenschaften die Wirklichkeit beschreiben versuchen, so wie Kunstwerke Gefühle und Stimmungen beschreiben versuchen, glaube ich, dass analog auch gute Kunstwerke die (1)"realen Erfahrungen des Einzelnen" (2)"mit einfachen und treffenden Mitteln" (3)"für eine bestimmte Zielgruppe" darstellen will. In einer systematischen Kritik muss ich also prüfen, inwieweit der Künstler dieses schafft. Für eine gute Kunstkritik stelle ich also das Kunstwerk dar und prüfe, ob der Künstler sein (unterstelltes) Ziel erreicht. Die systematische Struktur hilft mir, nichts wesentliches zu vergessen. denn die Systematik ist nur der Rahmen für meine Gedankengänge.
--- Wie kann eine Kritik aufgebaut werden ---
Du schreibst, dass du konstruktive Kritik und Verbesserungsvorschläge nicht einfließen lässt. Das ist immer auch eine Frage des eigenen Stils. das Kommunikationsmodell von Schulz von Thun besagt, dass jede Kommunikation immer vier Aspekte transportiert. Dies bedeutet bei Verbesserungsvorschlägen folgendes
a) die sachliche Information ("Das hätte man so anders machen können.")
b) Selbstdarstellung ("Ich habe das Zeug zum Schriftsteller, Musiker, Künstler! :-) )
c) Aufforderungscharakter ("Bei nächsten Auftritt könntest du so besser wirken.")
d) Beziehungsaspekt (" Da ich dir einen Verbesserungsvorschlag anbiete, befinden wir uns auf gleicher Augenhöhe") Ein Verbesserungsvorschlag ist eigentlich eine sanfte Form der Kritik, wo ich auf der gleichen Augenhöhe mit dem Künstler zu bleiben versuche. (Das ist mir wichtig, da ich mit meinen Kritik im Nachwuchsbereich eine Verbesserung der Konzertkultur bewirken möchte. Dies erreicht man nur seltener, wenn man statt der Kumpelposition eine Oberlehrerposition einnehmen würde.) Die Wahl der Mittel ist also immer durch den Zweck bestimmt.
Trotz der scheinbaren Rationalität bin ich ein sehr empfindsamer Mensch, der viele Entscheidungen intuitiv fällt und viele Überlegungen spontan anstellt. Da unterscheide ich mich wahrscheinlich nicht wesentlich von dir. Ohne Spontaneität lässt sich keine Innovation entwickeln, so wie das Vergessen zum Lernen führt.
Ein systematischer Aufbau meiner Kritiken ist für mich also lediglich ein Mittel effizient mit meinem Denkmuskel umzugehen. Aber auch du hast doch starke Ansätze zur Systematik, wenn du schreibst: "... eine ganz wichtige sache: die sinnlichkeit. ohne die kommt meiner meinung nach keine kunst aus. (kriterien: anschaulichkeit, farbe, stimmung, ausdruckskraft, wortschatz....) ...". Wenn du jetzt überlegen würdest, ob es Wichtigkeitsunterschiede zwischen den Kriterien gibt und ob bestimmte Beziehungen zwischen Kriterien bestehen, und wenn du für den Leser ein "einheitliche" Reihenfolge festlegen würdest, dann würdest du deine Artikel strukturieren ähnlich wie ich mein Artikel strukturiere.
--- 1. Nachfrage ---
Ich habe oben Schulz von Thun erwähnt. Jede Kritik ist immer auch eine Selbstdarstellung. Reich-Ranicki soll ein Meister der Selbstdarstellung sein. (Ich habe ihn nie gelesen.) Ich würde bei meinen Konzert-Kritiken folgende Bewertungen vornehmen:
a) Sachinformation (wenig aussagekräftig, aber systematisch)
b) Selbstdarstellung ("Ich schaue mir genau die Kommunikation zwischen Musiker und Publikum an.")
c) Aufforderungscharakter (Musiker: was ist gut/schlecht? - Zuschauer/Leser: Lohnt sich der Besuch?)
d) Beziehungsaspekt (Musiker: Ich stehe auch eurer Seite! - Zuschauer/Leser: ???)
Wie würdest du deine Kritiken unter dem Kommunikationsmodell bewerten? Wie möchtest du gelesen werden?
--- 2. Nachfrage ---
Ich habe während meiner Doktorarbeit einen sehr speziellen Zugang zur "Sprache" bekommen. Für mich ist die Grammatik/ die Rhetorik wichtiger und manipulierender als das eigentliche Wort.
Was ist für dich Sprachkritik?
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